Kapitel 6 | Brille trifft auf Frau Biber

 

So fand der Gläsertausch eine innere Entsprechung, die in einen intimen Dialog mündete, den wir aus Anstand nur am Anfang verfolgten:
Brille: »Die Kunst, liebes Gegenüber, hat keinen biologischen Urquell, sie ist vielmehr Selbstbefriedigung, sich somit selber ausgeliefert, somit immer nur halber Genuss. Nie die Berührung weicher
Lippen am Rand von einem Glas Pils. Kunst ist wiederkehrende
Masturbation!«

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Biber: »Es ist wie der Unterschied zweier Pflanzen: die männliche ladet aus und wächst in die Breite, die Wurzel ist verzweigt; anders die weibliche Entsprechung, sie wächst wie ein Baum in die Höhe, sie strebt an das Licht, und ihre Wurzel greift wie ein Pfahl in die Tiefe. Du, Krieger, sage mir, wie du heißt.«
Brille: »Harry ist mein Vorname, Beinhart ist der Familienname. Es begleitet mich in meinem Leben immer der Widerspruch, so ist meine Kunst immer nur der Versuch, den Leuten die Chance zu geben, das bohrende Gefühl der Enttäuschung zu erkunden. Aber mein Dammbauer unerfüllter Wünsche, wie wirst du gerufen?«
Biber: »Ich heiße schlicht Biber, doch mit dem Vornamen taten sich meine Eltern schwer: Geranie Makramee Malossol. In der Schule
wurde ich Germa gerufen. Doch wenn die männliche Pflanze an die weibliche sich bindet, so finden beide ihre Erfüllung: Sie streben in die Höhe und in die Breite, die Wurzel verzweigt sich in der Erforschung der
Tiefe.«
Brille: »Ich lache gerne; es ist mein Versuch, auf positive Art sich mit den Enttäuschungen auseinanderzusetzen. Doch darf ich Malossol dich nennen, meine liebe Biber?«
Biber: »Oh du mein Rauchverzehrer, mein wahrer Verbündeter, mein kraftvoller Freund, der Rauch ist für die Sehenden, du bist der Rauch und mit nichts zu vergleichen; der Rauch ist deine Macht. Nenn mich Malossol, mein starker Krieger, nimm mich in deinen Mund!«
Brille: »Oh Malossol, mein Dammbauer, alles, was ich muss und kann, schenke ich dir: dieses Muss, alles gut und richtig zu machen, diese wahre Zuneigung und das Wissen um die Qualität der Hingabe, mit der man zu leben beschließt. Es ist dein, es ist dir gegeben.«
Soweit lauschte ich. Es ist ein großer Unterschied, ob du verliebt bist und mit deiner Liebe sprichst, oder ob du eiskalt daneben sitzt und dem Wortwechsel folgst.